Über mich english

Lieber Besucher,

es gibt eine Fülle an Material (Erinnerungen, Texte und Fotos), das seit Jahren geduldig darauf wartet, eines Tages zu einem langen Artikel über die ganze ungewöhnliche Geschichte hinter meinem Versandhandel, Label und Vertrieb zusammengesetzt zu werden. Diese Zeilen geben Dir zumindest einen kurzen Überblick über mich, mein Geschäft und über seine Entstehung.

Ich bin Jahrgang 1965 und begann mit 15 Rockmusik der Siebziger Jahre zu hören. Ich begeisterte mich schnell dafür, begann Schallplatten zu sammeln und war immer auf der Suche nach neuen Sounds aus dieser Zeit: Britische, amerikanische, deutsche, westeuropäische und australische Gruppen, die ähnliche Musik spielten wie die osteuropäischen Gruppen, deren Musik ich seit 25 Jahren zu verbreiten versuche.

Die Gründerjahre auf westeuropäischen Schallplattenbörsen

1986 begann ich LPs auf Schallplattenbörsen zu verkaufen. Zuerst innerhalb eines Umkreises von 250 km um meinen damaligen Wohnort Erlangen, doch erweiterte sich dieser schnell auf rund 1000 km. Von 1988 bis 1993 stand ich nicht nur auf allen bedeutenden Börsen in Deutschland, sondern war auch der erste Schallplattenhändler zumindest aus Süddeutschland der regelmäßig in den Nachbarländern (Österreich, Schweiz, Italien, Frankreich, Belgien, Niederlande, Dänemark und Schweden) vertreten war. Insgesamt waren es etwa 50 Börsen pro Jahr. Ich fuhr vierteljährlich vor allem in die Niederlande, aber auch gelegentlich nach Schweden und ging dort durch die Second-Hand-Läden, um mein individuell zusammengestelltes Sortiment aufzufüllen, welches aus rund 2000 Rock LPs von den späten Sechzigern bis zu den frühen Achtzigern bestand: Raritäten, die entweder in den Originalpressungen die ich anbot oder überhaupt nicht mehr erhältlich waren. Dazu kamen noch ein bis zwei Kisten ungespielter Reissues.

Am 7. April 1988 sah ich im Rotterdamer Schallplattenladen „Plaatboef“ die ersten fünf jugoslawischen LPs meines Lebens zusammen stehen: "Time" von 1972, "Yu Grupa" von 1973 und das „Boom Pop Festival 1973“ (alle Jugoton) sowie "Korni Grupa" von 1972 und Pop Mašina: "Kiselina" von 1973 (beide Radio Televizija Beograd). „Rock aus Jugoslawien, was ist denn das?“ fragte ich mich halb neugierig, halb amüsiert. Nach einigem Hin und Her nahm ich sie schlussendlich mit, natürlich nicht ahnend, dass diese Entscheidung mein ganzes Leben verändern würde …

Damals kannte ich viele ernsthafte Schallplattensammler und -händler aus einer Reihe europäischer Länder und auch einige aus Übersee. Experten zum Beispiel für deutsche, italienische, skandinawische, kanadische oder australische Rockmusik der Siebziger Jahre, doch niemand, aber wirklich niemand konnte mir etwas über Rockmusik aus Jugoslawien erzählen. So entschied ich mich dazu dem selber nachzugehen. Im Sommer 1988 fuhr ich zusammen mit einem Freund nach Budva an die Adria und besuchte Smederevo und Belgrad auf dem Rückweg. Dort traf ich dann auf die ersten Leute, die mir Grundlegendes über Rockmusik in Jugoslawien erzählen konnten, die mir Platten vorspielten und auch ein paar davon verkauften. So wurde der YU Rock, wie ich ihn nannte, mein Ding.

Impulse aus Jugoslawien

Von 1988 bis 1992 reiste ich fünfzehnmal nach Jugoslawien und verbrachte dort insgesamt etwa neun Monate, die meiste Zeit davon in der Hauptstadt Belgrad. Ich begann die jugoslawische Rockgeschichte zu rekonstruieren und trug alles an interessanten Schallplatten zusammen, was ich bekommen konnte, insgesamt einige Tausend. Ich traf auf hunderte Musikliebhaber, Sammler, Händler, Musiker und Journalisten, die ihre Steinchen zu dem Mozaik jugoslawischer Rockgeschichte dazugaben, das sich in meinem Kopf entwickelte. Ich beschäftigte mich mit Kultur, Geschichte, Wirtschaft und Politik des Landes und lernte die serbokroatische Sprache, die ich am Ende dieser Periode ziemlich gut beherrschte.

In diesen Jahren nutzte ich jede Gelegenheit um die jugoslawischen Platten die ich am meisten mochte in der internationalen Sammlerszene vorzustellen und zu verbreiten. Vor allem auf Schallplattenbörsen auf denen ich meistens einen Plattenspieler dabei hatte. So wurde es in so manchen Momenten für Rockbegeisterte aus den westeuropäischen Ländern möglich, Gruppen wie Atomsko Sklonište, Bijelo Dugme, Buldožer, Crni Biseri, Dah, Divlje Jagode, Drugi Način, Galija, Gordi, Grupa 220, Igra Staklenih Perli, Indexi, Korni Grupa, Leb i Sol, Drago Mlinarec, Nepočin, Oko, Opus, Parni Valjak, Pop Mašina, S Vremena na Vreme, Smak, Spektar, Suncokret, Tako, Teška Industrija, Time, YU Grupa oder Zlatni Prsti zu hören, die meiner Meinung nach die goldene jugoslawische Rockgeneration repräsentierten.

Das Kalemegdan Disk Labelprojekt

1990 begann ich mit meinem Mailorder und der nächste Schritt bei der Realisierung meines persönlichen „YU-Rock-Trips“ war 1991 die Gründung meines eigenen Labels, dem ich den Namen „Kalemegdan Disk“ gab - benannt nach der historischen Festungsanlage am Rande der Belgrader Altstadt mit Blick auf Donau und Save. Ich veröffentlichte fünf LPs der Belgrader Gruppen Igra Staklenih Perli und Tako in Deutschland in 1000er Auflagen, kompetent und tatkräftig unterstützt von Vesna Jakovljević, meiner damaligen Partnerin. Die Grundidee des Labels war es, einem westlichen Sammlerpublikum meine Auswahl der Highlights jugoslawischer Rockmusik über Produktionen mit deutschen Qualitätsstandards vorzustellen.

Unglücklicherweise startete dieses Projekt genau am allerunglücklichstmöglichen Zeitpunkt und brach nach mehreren Jahren zähen Ringens aufgrund von tragischen Ereignissen zusammen, die Jugoslawien niemals hätten zustossen dürfen, und aus anderen Gründen gleich noch mit dazu. Viele Jahre sind mittlerweile vergangen und es ist zwischenzeitlich ziemlich ruhig geworden um Kalemegdan Disk, auch wenn ich mein Mailorder kontinuierlich weitergeführt habe. Vor mehr als zehn Jahren erweiterte ich mein Sortiment um Rock LPs aus den anderen osteuropäischen Ländern und begann neben Schallplatten auch CDs anzubieten.

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Anfang Juni 2012 kehrte ich von einer einwöchigen Reise aus Leipzig und Berlin zurück, bei der ich eine lange Reihe von Eindrücken für meine Zukunftsfindungspläne sammeln konnte. Zukunftsfindungspläne wie sich herausstellen sollte für das Tonträgerhandelsbusiness welches ich in den Vormonaten gänzlich aufzugeben in Erwägung gezogen hatte. Nachdem zeitgleich mein Arbeitsverhältnis im Einkauf eines chinesischen Außenhandelsunternehmens auslief, kam es ganz plötzlich dazu, dass ich mir Klarheit verschaffen wollte, ob es nicht doch möglich wäre mit einem überarbeiteten Konzept einen zweiten ernsthaften Versuch zu unternehmen, osteuropäische Rockmusik in den Rest der Welt zu vertreiben.

Noch einmal Jugoslawien

Ich mietete mir ein Auto und überquerte in den späten Abendstunden des 21. Juli 2012 zum ersten Mal seit sieben Jahren die österreichisch-slowenische Grenze und fuhr weiter bis ins Zentrum von Šenčur zu meinem langjährigen Tauschpartner Roman Pavlin. Am 23. Juli besuche ich in Ljubljana Nika, RTV Slovenija, Racman, Sanje Records und Dallas um mich und meine Pläne vorzustellen und mir ein Bild von der aktuellen Situation dieser Platten- bzw. CD-Firmen zu machen. Am Tag drauf besuche ich den Direktor von Croatia Records, Želimir Babogredac, Hit Records und meine Freunde Davor und Silvije Varga von Dancing Bear Records in der Heinzelova ulica, in der ich in jungen Jahren alle meine Aufenthalte in Zagreb verbrachte. Und am 26. Juli fahre ich meine alte Strecke durch Slawonien über Varaždinske Toplice, Ludbreg, Koprivnica, Djurdjevac, Virovitica, Našice, Osijek, Vukovar, Ilok, Bačka Palanka und Novi Sad über die Landstrasse nach Belgrad welches seinen vielmaligen Gast mit Sonnenschein und einem wunderschönen Regenbogen empfängt.

Waren schon die Tage in Slowenien und Kroatien schön, aufregend und ausfüllend, trägt der nun folgende zehntägige Belgrader Mittelteil dieser Reise phasenweise märchenhafte Züge. Mein Gastgeber Petar Janjatović, Direktor von Dallas Beograd, empfängt mich in der Gvozdićeva ulica, bringt mich wie 2005 im CD-Lager seiner Firma unter, das einzige CD-Lager in der ganzen Stadt das Gäste beherbergt wie er sagt, wir gehen essen und er verabschiedet sich in den Sommerurlaub, nicht ohne mir seine Schlüssel, seinen Computer, sein Büro, seine Mitarbeiter Sergej, Ljubiša und Dejan, den Titel "Direktor Dallas Beograd", sein Fahrrad und die Telefonnummer von Marija Banković, einer Belgrader Journalistin, zu überlassen, mit der ich dann in den Folgetagen über den Kalemegdan schlendere und durch die Stadt ziehe. Gemeinsam versuchen wir dabei, die umfangreiche alte Kalemegdan Disk Geschichte zu rekonstruieren.

Ich besuche Pedja Vuković, Draško Nikodijević (beide Igra Staklenih Perli) und Dušan Ćućuz (Tako). Ich treffe mich mit Ljuba Ninković (S Vremena na Vreme) und Robert Nemeček (Pop Mašina), besuche meine alten Bekannten Branimir Lokner, Milan Nenad und Zoran Todorović, die Schallplatten- bzw. CD-Firmen Radio Televizija Srbije Produkcija Gramofonskih Ploča (einmal Ivana Bojković und einmal Dejan Ilić, den Programmdirektor), One Records und Multimedia Records, die Läden von Dallas-Multimedia, Jugoton & Radio Televizija Srbije und leiste mir noch einen eintägigen Abstecher 200 km Richtung Südwesten nach Užice und Zlatibor.

Kalemegdan Disk in der Moderne

In den späten Abendstunden des 6. Augusts verlasse ich Serbien Richtung Ungarn und treffe am nächsten Tag in Budapest Laszlo Kovač (Moiras Records), besuche Anikó Katona und Péter Porkoláb (Hungaroton) und Gregory Böszörményi (Periferic Records). Am 8. August bin ich bei Richard Hanuliak (Opus/Forza Music) in Bratislava und am 9. August in Prag trägt der Besuch bei Linda Hruzová (Supraphon) noch einmal für eine Stunde märchenhafte Züge. Am Abend desselben Tages komme ich erschöpft zurück nach Nürnberg, doch die Weichen für die Zukunft sind bereits gestellt.

Die Folgemonate erwiesen sich allerdings als wesentlich härter und arbeitsintensiver als erwartet: Kalemegdan Disk musste komplett an die Standards und Erfordernisse der Moderne angepasst werden und da gab es viel zu tun. Die neuen Kontakte mussten weiter entwickelt werden, ein neues Sortiment musste aufgebaut und finanziert werden, ein neuer Computer mit einer neuen Generation von Basisprogrammen musste gekauft und installiert werden, ein auf Tonträgerhandel ausgerichtetes Warenwirtschaftsprogramm musste programmiert werden, tausende Datensätze mussten überarbeitet werden, ein Web Shop musste eingerichtet werden, ein neuer Büroraum musste arrangiert werden, das neue Konzept musste auf der Lieferantenseite stabilisiert und auf der Händlerseite vorgestellt werden und noch vieles andere kam parallel dazu.

Ende November reiste ich noch ein zweites Mal nach Jugoslawien. Skoplje, Belgrad und Zagreb waren die Stationen und Erholung war diesmal angesagt. Einer der Höhepunkte war dabei die Erfüllung eines langgehegten Wunsches: Zwanzig Jahre nach der intensivsten Phase unserer Zusammenarbeit sah und hörte ich am 7. Dezember, dem letzten Tag vor meiner Rückreise, in Zagreb zum ersten Mal im Leben ein Konzert von Igra Staklenih Perli, die sich vor etwa einem Jahr wiedervereinigt hatten und ich muss zugeben, dass ich überrascht war wie gut Programm und Sound waren.

Vom 6. auf den 7. April 2013 feierte Kalemegdan Disk mit Gästen aus Nürnberg, Fürth, Leipzig und Rotterdam seinen 25. Geburtstag. In den letzten zehn Monaten hat sich viel verändert, doch bis zum 50. Geburtstag bleibt immer noch genug zu tun ...

Beste Grüße,

Thomas Werner
Direktor von Kalemegdan Disk

Nürnberg, 14. April 2013